Totally Cornerstoned™

Der Wahnsinn einer fiktiven Englisch-Stunde

09:50 Uhr
Ordentliche Schüler (meistens wenige oder Null) warten ungeduldig ("Hoffentlich kommt er nicht!") auf ihren Tutor.
09:55 Uhr
Er ist da! Da über die Hälfte des Kurses noch fehlt, wird das Betreten des Saales mit Zurückhaltung angegangen ("Ignoriert ihn einfach!").
10:00 Uhr
Der letzte Schüler ("letzte" ist hier zeitlich gemeint) nimmt unter kritischer Beobachtung seines Herrn und Meisters gemütlich Platz und hofft auf einen interessanten Unterricht. Die mittlerweile schon traditionelle Wiederholung der letzten Stunde wird mal wieder (oder besser: wie immer) von M.Z.1 vorgetragen (Er ist der einzige, der Hausaufgaben macht). Da seine Doktorarbeit (laber) dauern kann, fängt der Rest des Kurses an, sich mit wirklich wichtigen Sachen zu beschäftigen: Vollmalen des Heftes bzw. Tisches, Lesen von mitgebrachten Zeitschriften, ohne Vorwarnung den Saal verlassen oder das Auswendiglernen des Rauminventars.
10:07 Uhr
M.Z. ist fertig (Neuer Monologrekord). ENDLICH! Selbst unser international erfahrener Lehrer sieht sichtlich genervt aus. (Keine Panik Mr. Eckstein, wir verstehen Sie vollkommen!) Wo bleibt der Gong?
10:25 Uhr
Nachdem nun auch unser Tutor seine Version der Wiederholung abgeliefert hat und von einer gewissen Person (wer war das wohl?) des öfteren unterbrochen wurde, wendet sich unser Tutor dem nächsten Kapitel unseres tollen literarischen Werks zu und stellt verwirrende Fragen, die aufgrund einiger Sprachschwierigkeiten eh keiner kapiert. Mittlerweile nähert sich die Stimmung im Saal dem absoluten Nullpunkt (OK oder -273,1516°C), weshalb man für jeden aufheiternden Beitrag dankbar ist ("War only makes lucky people" -Gruß an den weißen Äthiopier K.B.).
10:40 Uhr
Der Gong! Reaktionen wie "WAS! Erst die 1. Stunde vorbei" oder "Doch schon so spät!" sind in ähnlicher Form oft zu hören.
10:55 Uhr
Um die mündliche Mitarbeit wenigstens knapp über dem Minusbereich zu halten, zitieren einige wenige Schüler nach dem Zufallsprinzip Textstellen (der gute Wille allein zählt!). Der Rest des Kurses schaut apathisch im Saal umher, oder beschäftigt sich weiterhin mit etwas Sinnvollem (siehe 10:00 Uhr). Auf die Frage unseres Gebieters "Did you find something interesting in the text?"2 herrscht erstmal Ruhe. Das liegt daran, daß die Mehrheit des Kurses den Text nicht gelesen hat, und die, die ihn gelesen haben, eine 90ig minütige schöpferische Pause vorziehen (oder lag es daran, daß im Text nichts Interessantes zu finden war?!?).
11:03 Uhr
M.Z. (Nicht schon wieder! Ob er was ernstes hat?) unterbricht diese Ruhe und wiederholt zum dritten Mal eine völlig zusammenhangslose Aussage. Daß diese schon zweimal als falsch abgestempelt wurde, scheint ihn nicht zu kümmern und auch hier besteht die einzige Reaktion aus einem regen Mienenspiel seiner bedauernswerten Mitschüler.
11:15 Uhr
Unser großer Meister malt noch schnell die klassische Übersicht des Kapitels an die Tafel, welche hastig (Nur keine Panik!) und verständnisvoll (häh?) auf den nächsten greifbaren Zettel abgemalt wird.
11:23 Uhr
Nun entwickelt der Kurs eine nicht zu glaubende Aktivität. Obwohl unser Tutor noch redet, nimmt ihn keiner mehr wahr, denn jeder ist mit Einpacken beschäftigt. Kurz bevor die Hausaufgaben verkündet werden [sollten], hat schon der vorletzte Schüler den Saal verlassen (Ausnahme: M.Z.). Das ist auch gut so, denn einer muß sie ja machen. (Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Anzahl der gestellten Hausaufgaben umgekehrt proportional zur Verweildauer im Kurs war.)
11:25 Uhr
GESCHAFFT! Die Unterrichtsbeteiligung einer ganz normalen Stunde liegt knapp über Null, das Interesse meistens knapp darunter. Nun hat man sich seine Pause redlich verdient. So long...
P.S.: Dieser Text entstand vor der genialen Tutfahrt, bei der wir alle unseren Tutor nicht mehr wiedererkannt haben. Der Unterricht nach der Fahrt war zwar nicht viel interessanter, aber sehr viel lockerer!
Thorsten Pohl
  1. Dieser Schüler möchte garantiert nicht namentlich genannt werden. Wer nicht weiß, wer gemeint ist, bekommt einen kleinen Tip: Wenn der anfängt zu reden, sollte man besser den Raum verlassen (geht im Unterricht nur mit der Begründung "Ich muß mal aufs Klo").
  2. Für alle, die der wichtigsten Fremdsprache hinter Hessisch nicht mächtig sind, hier die LK-Übersetzung: "Habt ihr in dieser Textstelle, die gerade gelesen werden sollte, irgendwas gefunden, was es wert wäre, zu dem Problem, welches gerade hochaktuell ist, erwähnt zu werden? - Wenn ja, hebt einen beliebigen Arm, und tut damit kund, daß ihr euch mit dem Problem beschäftigt habt und nun auch den ganzen Kurs an der, im wohlformulierten Englisch, dargebotenen Antwort teilhaben lassen wollt"