(Ein Defragment - jedem nach uns Kommenden zur Mahnung!)
Mitwirkende Personen: der gesamte Deutsch-LK/Hr, die Kursleiterin, sowie der für das ganze Stück unverzichtbare Mephistopheles
Allen mit dem Fauststoff nicht vertrauten Subjekten sei an dieser Stelle gesagt, daß die im folgenden Drama verwendete Sprache teilweise Johann Wolfgang v. Goethes FAUST l, also nicht im vollen Umfang den minderwertigen Hirnen der Verfasser entstammt. |
Mittwoch. Ein kalter, trister Saal im Pavillon D. Cornelia Hörr wartet bereits Minuten vor dem Unterrichtsbeginn hinter ihrem, mit kursthemen-bezogener Literatur überhäuften Lehrerpult auf erste wißbegierige Leistungskursteilnehmer. Im Geiste durchdenkt sie das, für die heutige Doppelstunde geplante, minutiös durchorganisierte Programm.
Da trudeln - wie immer als unzertrennliche Zweisamkeit auf dem Erdball wandelnd - Tobias E. und Karl-Philipp ein.
T. & K.-Ph. (wie aus einem Munde): "Guten Morgen, Frau Hörr!"
Cornelia H. erwidert den Gruß freundlich lächelnd und verfällt dann wieder in Wartestellung. Nach dem ersten Klingeln ist der Kurs schließlich vollständig versammelt, so daß der Unterricht planmäßig beginnen kann.
C.H.: "Also, erstmal einen guten Morgen alle zusammen!"
Der Kurs beantwortet den Gruß mit unverständlichem Gemurmel, nur Ulrike, das Singvögelchen, schmettert ihrer Lehrerin einen deutlichen Morgengruß entgegen.
Mephisto (für niemanden hör- und sichtbar im Waschbecken sitzend):
"Das hier ist Ulrike Vogel
wie das Tier,
der ewige Gesang, der jedem
an die Ohren klingt,
uns heiser jede Stunde singt.
Pastellfarben ist ihr täglich Kleid,
ihr Wesen kindlich Heiterkeit."
C.H.: "So, wir wollen keine Zeit verlieren, kommen wir deshalb umgehend zur Präsentation eurer Hausaufgaben."
Sofort melden sich Anja, Kerstin und Tanja, eifrig beflissen, die Produkte ihrer Heimarbeit vorzustellen. Anja wird von den dreien aufgerufen.
Anja: "Also, wir sollten das Verhältnis von Mephisto zu Gott in der Szene 'Prolog im Himmel' untersuchen. Ich denke, daß Mephisto die eine Aussage Gottes mißversteht, indem er Leben auf das rein Physische reduziert und in der ihm gewohnten Tiermetaphorik das Gleichnis von Katze und Maus bringt."
C.H.: "Sehr gut, Anja!"
Mephisto: "Ja ja, mal wieder eines dieser wörtlichen Zitate aus der Sekundärliteratur. Wie gut, daß es außer mir niemals jemand bemerkt hat."
Da öffnet sich die Tür und ein extrem verschlafen anmutender Steff schlurft herein.
Steff: " 'Tschuldigung, hab' den Saal nicht gefunden."
C.H. (mit strafendem Blick): "Nun sag', wie hast du's mit der Pünktlichkeit?"
Steff brabbelt etwas Unverständliches und setzt sich.
Markus Hoh.: "Häh, Katze & Maus? Das verstehe ich jetzt nicht."
Tanja B. (sich wie oft ungefragt einmischend): "Das ist doch wie mit den Bienchen und den Blümchen..."
Roman N. (durch die ihm nicht uninteressant erscheinende Bienchen-Blümchen-Thematik aus der Lethargie gerissen): "Was soll denn das mit Bienchen zu tun haben?"
Tanja B.: "Ja, daß ist doch auch irgendwie so ein Tabuthema in der Gesellschaft. Als er klein war, hat
mein Bruder seinen besten Freund auch mal mit dem Hammer geschlagen."
Mephisto: "Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber!"
C.H. mustert Tanja mit schreckensstarrer Miene: "Also Tanja, ich fürchte, du hast die Szene total mißverstanden. Könnte nicht mal jemand zur Klärung beitragen?... Ja bitte, Sylvia!"
Sylvia: "Ja, meiner Meinung nach.." (Steff schnarcht)
Nachdem sie mehrere Minuten später schließlich mit der ausführlichen Darlegung ihres Standpunktes fertig ist, bekommen noch andere Schüler die Gelegenheit, sich zu äußern, unter ihnen auch Kerstin A., die grundsätzlich zu allem & jedem etwas zu sagen hat.
Kerstin A.: "Mit seiner Metapher will Mephisto doch lediglich sagen, daß er an Faust nur zu dessen Lebzeiten Interesse hat. Wie die Katze hat er nur dann Spaß am Spiel mit seinen Opfern, wenn sie noch am Leben sind."
Mephsito: "Bingo! Das war also des Pudels Kern!"
Jetzt schaltet sich auch Tine ein: "Ja ja, das haben die Männer so an sich. Mit den Frauen verfahren sie schließlich genauso!"
Roman (sichtlich in seiner Mannesehre getroffen): "Was soll man mit den Weibern denn auch anderes anfangen? Spielen können sie, aber um wirklich wichtige Dinge müssen sich letzten Endes doch immer wir Männer kümmern."
Neben mißbilligenden Blicken fliegen ihm als Antwort aus der
Frauenecke auch einige angebissene Rosinenschnecken entgegen, die jedoch alle ihr Ziel verfehlen, und schließlich spricht Daniela aus, was alle denken: "Roman, mir graut's vor dir!"
Mephisto: "Das ist ja nicht zu fassen! Verflucht seien diese nichtswürdigen Schülerchen, die das Meisterwerk des großen Goethe mit derart hirnlosen Diskussionen so schmählich beflecken! Wie können sie es wagen, von meinem glanzvollen Auftritt im Himmel in dieses primitive Macho-Emanzen-Geschwätz abzuschweifen?!? Aber das werden sie noch bitter bereuen!"
C.H.: "Was sagen denn die anderen zu Romans provokativer These?"
Jens Merschroth hüllt sich wie immer in Schweigen, während Barbara und Kerstin angestrengt versuchen, Brandon Walsh aus ihrem Beverly-Hills-Kalender in ihr Deutschheft abzupausen. Plötzlich klopft es.
C.H.: "Herein, wer will mich wieder plagen?"
Ein besonders winziges Exemplar eines Fünftklässlers steckt den Kopf zur Tür herein.
Schüler: "Darf ich meinen Turnbeutel holen, bitte?"
C.H.: "Du mußt es dreimal sagen!"
Schüler: "Bitte, bitte, bitte!"
C.H.: Na gut, aber beeil' dich und störe uns nicht länger, wir sind schließlich ein Leistungskurs."
Der Kleine schleicht in den Saal, kramt hektisch seinen Turnbeutel unter einem Tisch hervor und verschwindet dann eingeschüchtert wieder.
Da meldet sich Sven zu Wort, mit der Hand zärtlich seine dunklen Locken streichelnd: "Um nochmal auf den Roman zurückzukommen. Ich finde wirklich nicht, daß die Männer nur mit den Frauen spielen. Bei meiner Freundin und mir war das eher andersrum."
Markus Hoh.: "Ja wie? Andersrum? Also, das ist wirklich die sinnloseste Diskussion, die ich in meinem ganzen Leben erlebt habe!"
Plötzlich erstarrt er und blickt entsetzt zum Waschbecken, aus dem gelbe Rauchschwaden aufsteigen. In Sekundenschnelle erfüllen sie den ganzen Raum mit beißendem Gestank. Allen Schülern und auch der Kursleiterin schießen Tränen in die Augen, verzweifelt ringen sie nach Luft. Fenster und Türen sind wie von Geisterhand verschlossen, so daß es für niemanden ein Entrinnen gibt. Nacheinander sinken die Eingeschlossenen zu Boden, verlieren das Bewußtsein und gehen schließlich unter Keuchen und Röcheln ins Nirwana ein. Mephisto aber sitzt noch immer in seinem Waschbecken, jetzt jedoch schadenfroh lachend, und ist hocherfreut darüber, daß das von Frau Matusca gebraute Schwefelsüppchen so durchschlagend seine Wirkung getan hat: "Das soll all jenen eine Lehre sein, denen jegliche Ehrfurcht vor den unsterblichen Werken alter Meister fehlt. Viel zu oft schon haben sich Unwissende höchst stümperhaft an diesen alles überdauernden Wunderschriften vergangen, doch das hat ab heute ein Ende!" Spricht's und beamt sich dann in den Saal des gerade über Shakespeare ins Gähnen geratenen Englisch-LK / Sr, um dort den Rest seiner tödlichen Mixtur einzusetzen.
Kerstin Amadori,